Zwischendrin

„Zwischendrin“ berichtet über den persönlichen und gesellschaftlichen Zwist zwischen den Rollen als Frau, Philosophin, Mutter und dem Restchen Ich, das da bleibt. Es sind die Himmel und Höllen des Alltags als Frau, (noch nicht) (immer wieder) (angestellte) (selbständige) berufstätige Philosophin und Familienfrau. Ich bin keine Artistin und mache doch oft den Spagat.


This Life*

Ich suche…

…meine Agenda, die zweite Socke, den Schlüssel, die Papiertüte für das Pausenbrot, das Rasenmäherbenzin, Pilze im Wald, die Puppe und den Frosch, den Sparschäler und, immer wieder, meinen verschleppten Wecker. Den Rucksack, die Mappe. Meinen Geldbeutel. Ich suche.

Ich suche…

…eine Lebensform, die einschliesst. Erdung, verwurzelt sein, Zugehörigkeit. Ausprobieren. Einen Platz zwischen den Generationen. Orte, wo zwei entgegengesetzte Pole kein Hindernis, sondern verbindendes Element sind. Haltestellen, um in Ruhe zurückgelegte Wege zu überdenken. Bedingungslose Annahme. Möglichkeiten, Menschen zusammenzubringen. Arbeit ohne Macht. Eher die Fragen und weniger die Antworten. Das Frau-Sein, das weder an Stärke noch an Zaudern krankt. Lebendigkeit und Austausch, ohne in Chaos und Überterminierung zu versinken. Form, Ordnung und System ohne Erstarrung. Das richtige Mass an Langeweile. Meine Flügel.

Suchen ist manchmal einfacher als finden.

*Die Credits für den Titel gehen an dieses Lied.


Was me bim bügle schafft

Ja kener Rümpf, kener Fäut, kener Fähler mache

Viel Dampf u

heissi Ise für sech d Finger ds verbrönne

Aus ufem Brätt u när fiinsüberlech a Chleiderhaagge

D Chnöpfli zue, ds Chrägli grichtet

Nid mini Wäut


Die Tür II – Ich will Kolumbus sein!

Nun steht es also an der Schwelle, das Ich. Was, wenn die Wut hochkocht: Im Magen bildet sich von unten ein Klumpen, als würde das Gedärm sich dehnen und hochsteigen. Wie Säure durch die Brust wandern, die Speiseröhre hoch. Luft anhalten, nach unten drücken – weg damit, weg. Zusammenhalten, zusammennehmen. Und wie aus dem Nichts das Blackout, ein böses Wort zischt aus dem Mund, ein Fluch, eine Hand donnert auf den Tisch. Danach alles leer, nur der Schrecken hängt deutlich in der Luft.

Jeder Wutausbruch ölt die Angeln der Tür, die zu diesem Raum führt. Sie springt leichter und leichter auf. Immer und immer wieder dieselbe Tür, die alte Leier. Gibt es etwas Langweiligeres als Gewalt? Wenn ich mich so verhalte, wie mir die aufsteigende Magensäure diktiert, schläft mir noch das Gesicht ein. Ich will Abwechslung in meinem Leben, Abendteuer, geistig um die Welt segeln, Salz auf den Lippen spüren, den Wind im Haar und emotional neue Kontinente entdecken wie Kolumbus.

Was ist eine Handlung? Was geht vor, wenn ich mich entscheide, etwas zu tun oder zu lassen? In Blizsekundenschnelle das Für und Wider abwäge? Von Handeln sprechen wir nur dann, wenn wir auch wirkliche Alternativen haben. Und ja – die haben wir! Wenn Gewalt an die Tür klopft, kann ich ihr die vor der Nase zuschlagen, sie ignorieren, ihr beim Eintritt das Bein stellen, sie zünftig auslachen. Ich habe eine Million andere Türen zum Öffnen. Da werden ihr die langweiligen Wutausbrüche schon bald vergehen.


Die Türe I

Es ist Advent, öffnen wir ein Türchen: naive Scheinheiligkeit. Gewalt in der Erziehung: „Ich? Niemals!“ Bis zur Geburt meines Sohns ist sie nie auf die Probe gestellt und das Ich nicht vom Sockel gestossen worden. Doch dann ging eine derart gewaltige, grobe Macht über einen hinweg – über Körper, Geist und Gefühle. Und so hat sich eine Tür geöffnet, die sich nicht mehr schliessen lässt: Gewalt ist eingetreten.

Die erste Zeit mit einem Neugeborenen ist eine Zeit voller gegenseitiger Fremdbestimmung. Was ist das für eine Beziehung? Wir haben gelebt, als sei Selbstbestimmung das höchste Gut – naiv. Und jetzt steht der plötzlich die diametral entgegengesetzte Fremdbestimmung entgegen. Mein Sohn bestimmt über mich und ich über ihn. Es ist eine Beziehung voller Notwendigkeit, voller Abhängigkeit und voller Verpflichtung. Und dann manchmal dieser Satz: „Wenn man es nur rückgängig machen könnte.“ Und das Bewusstsein, dass dies nicht mehr geht – und hier fällt die Statue vom Sockel. Da öffnet sich diese Tür ins dunkle Reich voller Schrecken, missbilligender Worte und Grobheit. Noch einmal verliert sich das Ich an einem Ort, den es vorher nicht kannte. Die Tür lässt sich nicht mehr schliessen. Doch zum Glück muss ich nicht über die Schwelle gehen. Wie verantworte ich eine solche Entwicklung?


Das grosse UND

Eine Familie zu sein, ist schön. UND anstrengend. Kürzlich habe ich ein Bild von Tracy Anderson, einer bekannten Personal-Trainerin aus Amerika, kurz nach der Geburt ihres Kindes gesehen. Sie zeigte sich mit fleckigem Top im Brustbereich, dem Baby auf dem Arm und dem Kommentar „Wer braucht denn schon Stilleinlagen? Am Ende des Tages geht es doch nur darum, dass sie gesund und glücklich sind“.

Mich hat dieser Beitrag stutzig gemacht. Wieso sollte man in einer Internetgesellschaft dafür gelobt werden, dass man sich so präsentiert, wie man im Alltag gerade ist? Der Rückschluss liegt nah: Soziale Medien als Ort der perfekten Selbstdarstellung. Ich bin aber nicht sicher, ob nicht auch Ehrlichkeit, Alltäglichkeit und Normal-Sein langsam für Selbstdarstellung verwendet werden: „Ich zeige euch jetzt mal, wie normal ich wirklich bin.“ – Applaus, Applaus. Braucht es das?

Die interessante Frage im Hintergrund ist eine andere: Wo verläuft die Grenze zwischen Selbstdarstellung, Ehrlichkeit und Jammern? Wie ehrlich kann man denn sein, wenn es um Familie geht? Es ist wichtig, die Realität des Familienlebens sichtbar zu machen. Auf immer noch vorhandene strukturelle Ungleichbehandlung der Gesellschaft von Frau und Mann hinzuweisen. Auch die Männer zu Wort kommen lassen. Erzählen dürfen, was bewegt.

Sich im Internet so zu präsentieren, wie einem der Alltag im Familienleben gerade zu-, hin- oder herrichtet, kann man vielleicht als überflüssig oder mutig bezeichnen. Viel wichtiger sind aber die mutigen Frauen und Männer, die nicht sich, sondern neue Rollenvorbilder für unsere Kinder präsentieren. Die anpacken, handeln und dadurch Menschen sind, die sich in erster Linie durch Charakter auszeichnen und nicht durch ihre Zugehörigkeit zu einem Geschlecht. Menschen, die sich durch das Streng gelassen weiterentwickeln UND das Schön staunend annehmen.


Knick im Eileiter oder in der Karriere?

Ich will keine Karriere. Ich will aber auch keinen Karriereknick, das ist keine lustige Sache. Blockade, weniger Verantwortung und Lohn, harziger Wiedereinstieg. Sich im Zwiespalt gegen eine potenzielle Familie entscheiden zu müssen, ist auch nicht witzig.

Wo ist der dritte Weg? Ich glaube, weder „Für Karriere muss ich auf Kinder verzichten“ noch „Kind und Karriere sind gut vereinbar“ sind realitätsnah. Dennoch scheint sich ein Grossteil der gesellschaftlichen Meinung immer noch zwischen diesen beiden Polen zu bewegen. Man möchte einwenden: Jede Frau und Familie muss das für sich selbst entscheiden. Etwas einfach, oder? Denn: Das Problem hat weniger mit der individuellen Entscheidung als mit den strukturellen Voraussetzungen ebendieser Entscheidung zu tun. Unsere Gesellschaft denkt nur in diesen zwei Wegen und konstituiert für Frauen, und familienfreudige Väter, über ihre Individualität hinaus ein klassisches Dilemma.

Wieso sollte das Folgende nicht gehen? Ich will auf das Kind oder auf die Karriere verzichten und gleichzeitig die Karriere und Familie geschmeidig unter einen Hut bringen wollen können. Ich will aber auch nicht, dass meine Familie zu meinem Karriereprojekt wird, mit Perfektion und Aktivismus als Motoren der familiären Selbstoptimierung. Wieso nicht auch: Ich will weder Kind noch Karriere? Ich glaube, wir müssen die Frage neu stellen: Was macht Arbeit mit uns? Was ist Familie? Wieso denken wir Karriere sowie Kinder als etwas derart Ausschliessliches? Klären wir das, wirft das vielleicht ein neues Licht auf diesen einen Knick, der als Bruch unser Leben verändern wird.


Vertrag ohne Kündiungsfrist

Peng! Und er war da. Ein neuer Job, ohne je den genauen Stellenbeschrieb gesehen zu haben. Ich habe keine Lohnverhandlungen geführt. Es gibt weder Ferien noch Sozialversicherungen. Dienstaltersgeschenke schon gar nicht. Ich kannte meinen Vertragspartner noch gar nicht, als ich den Vertrag abgeschlossen habe. Das Vertragsverhältnis ist unumkehrbar, ein Zurück gibt es nicht.

Frau wird Mutter.

Wieso sollte ich denn zurückwollen? Es gibt ein klares Vorher und Nachher. Selbst gewählt, ja! Und da geistert dieser alte Satz in meinem Kopf herum: „Was du dir selbst eingebrockt hast, musst du auch selbst auslöffeln.“ Hilfe – ich brauche mehr Löffel! Aber wieso sollte in diesem Satz auch nur ein Körnchen Wahrheit stecken? Was ich brauche, sind keine Löffel, sondern den Mut, mich neu zu erfinden. Zurück kann, will, soll ich nicht. Denn da ist dieses alte Ich, das alles selbst tun und erreichen wollte. Es war erwachsen und individuell und unabhängig und autark und schön und organisiert. Doch jetzt ist da dieses neue Ich mit diesem verdammten Vertrag in der Tasche. Das nicht mehr alles kann, will und soll. Das sogar weiter zurückgeht als das alte Ich. Es braucht Hilfe, damit es lieben kann.

Schluck das mal.